Plädoyer für eine scheue Katze

   – manchmal braucht es viel Geduld

Ich mag keine Hände. Ich mag keine Hände – sie machen mir Angst – und sie sind gefährlich. Das hab ich schon sehr früh gelernt – Hände sind gefährlich! – sie haben meine Mutter und meine Geschwister genommen – und sie haben sie in einen Sack gesteckt – nur mich nicht – ich hatte mich versteckt.

Hände riechen nach Blut und Tod – wie kann ich ihnen da nur vertrauen? Sie sind derb – schlagen nach mir – oder greifen mir grob ins Genick, um mich fortzuscheuchen. Sie nehmen Steine auf, um sie nach mir zu werfen – oder halten knallende Objekte in der Hand – aus denen kommt nach dem Knall etwas raus – und wenn diese Dinger einen treffen, tut es schrecklich weh – auch wenn dieses Schrot nur sehr klein ist – es tut wirklich schrecklich weh. Hände tun nur Schlechtes – niemals würde ich mich freiwillig von ihnen berühren lassen – denn sie wollen mir immer wehtun – immer.

Wieder waren es Hände, die mich gegriffen haben – nicht ganz so brutal wie manch andere Hand – aber sie haben mich festgehalten – und in eine Kiste gesteckt – nun sitz ich hier – kann nicht weg – alles ist laut und fremd – ich habe Angst – und alles riecht so komisch. Die nächste Hand, die nach mir greift, werde ich zerfetzen – Hände sind schrecklich!

Ich habe die furchtbare Hand gebissen – so doll, wie ich nur konnte – es hat aber nichts geholfen – sie hat einfach nicht losgelassen – ich bin noch so klein und hab nicht genügend Kraft – und die Hand ist so gross! Eine andere Hand hat mich mit einer Nadel gestochen – ich wusste, jetzt ist alles vorbei – noch einmal hab ich versucht zu beissen – aber ich konnte nicht mehr – alles wurde schwarz – Hände sind der Tod!

Ich glaube, ich bin doch nicht tot – mir tut nur schrecklich der Bauch weh – und mir ist schlecht – und irgendwas ist auf meinem Bauch, was furchtbar stinkt und silbern ist. Ich liege wieder in der Box – aber es ist schön warm – ich fühl mich so müde, dass ich noch nicht mal mehr Angst habe.

Mir ist nicht mehr schlecht – aber der Bauch tut noch ein wenig weh – gerade, als ich mich ein klein wenig sicher fühlte, kamen schon wieder Hände – und sie haben mich wieder gepackt und in eine Kiste gesetzt. Irgendetwas war aber an den Händen anders – sie waren nicht derb – sie waren sanft und vorsichtig – ich habe trotzdem nach ihnen gebissen – ich weiss genau – Hände sind gefährlich!

Hier ist es schön – alles ist gemütlich – und es gibt zu essen so viel, wie ich will – und hier sind andere Katzen – mit denen kann ich spielen – hier ist es wirklich schön – aber hier gibt es auch Hände – ich hasse Hände – auch wenn die hier nicht ganz so schlimm sind. Sie stellen Futter hin – sie werfen kleine Bällchen – mit denen ich spielen kann – sie halten Angeln mit Federn unten dran – mit denen zu spielen macht mir besonders viel Spass.

Ich hab an einer Hand geschnüffelt – ich kann es nicht fassen – ich habe wirklich an einer Hand – ganz freiwillig – geschnüffelt – und es ist nichts passiert –  wirklich gar nichts passiert!

Hände sind gefährlich – ich muss mir das merken – so leichtsinnig darf ich nie wieder sein – an einer HAND zu schnüffeln – was da alles hätte passieren können!

Ich lebe gern hier – ich fühle mich hier wirklich sicher – keiner ist böse zu mir – nur die alte Tiger-Dame, die haut mir immer mal eine runter – aber das ist schon in Ordnung – meistens hab ich sie vorher ja auch ein wenig geärgert.

Jetzt bin ich schon sehr lange hier – und mir gefällt es immer noch – die alte Tiger-Dame ist nicht mehr da – ich glaub, sie ist zu meiner Mutter und meinen Geschwistern gegangen – ich fand das sehr traurig – sie war zwar eine grummelnde Alte – aber ich hab sie trotzdem sehr gern gehabt. Ich glaub, die Hände waren auch sehr traurig – sie haben immer wieder durchs Gesicht des Menschen gewischt und danach waren sie ganz nass. Ich hätte nie gedacht, dass Hände etwas empfinden und so traurig sein können.

Es ist etwas Unglaubliches passiert – die Hände haben mich angefasst – und ich habe nicht gebissen – ich habe nicht gekratzt – ich bin nicht geflüchtet – ich bin einfach auf der Fensterbank liegen geblieben. Die Hände waren erst ganz vorsichtig – haben mir über den Rücken gestreichelt – das war gar nicht schlecht – und dann haben sie mir den Kopf gestreichelt – das war toll!

Plötzlich waren die Hände wieder traurig – sie sind wieder durchs Gesicht gewischt – und waren wieder ganz nass – wie damals, als die alte Tiger-Dame gestorben ist – aber irgendwas war anders als damals – der Mensch sah glücklich aus – was der Mensch gesagt hat, hab ich nicht verstanden – aber irgendetwas wird es schon bedeuten „… nun bist Du schon drei Jahre bei mir – und heute darf ich Dich das erste Mal streicheln – Du glaubst gar nicht, wie glücklich Du mich damit machst …“.

  Ich weiss immer noch – Hände sind gefährlich – aber „meine“ Hände sind gut – sie streicheln, sie sind geduldig und sie werden mir nichts antun – das haben sie bewiesen.

(Autor: unbekannt)